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Von Walter Seidl.

Phänomen Kleidung

Barbara Holub thematisiert das System

In ihrer Arbeit „The System: prêt-à-porter“ thematisiert Barbara Holub die Verschiebung ökonomischer Strukturen und der mit ihnen einhergehenden kommunikationstechnischen Bedingungen in den sich verändernden „westlichen“ Kartografien. Ein Projektbericht.


Anhand des alltäglichen Phänomens Kleidung werden unterschiedliche ökonomische Modelle eines Second Hand-Kleidertausches beziehungsweise Second Hand-Verkaufes analysiert, die von einem Yard Sale bis zur Kleiderspende und dem daraus resultierenden ökonomischen Gewinn reichen. Ein kurzer, ab der Dämmerung immer wiederkehrender Video Loop eines Yard Sale im amerikanischen Los Angeles fokussiert auf Momente der wandelnden Körperhaltung von Menschen, die an den Wochenenden in den Front Yards ihrer Neighborhoods nach Kleidung aus zweiter Hand Ausschau halten und dabei die Kommunikation in den ansonsten von der Außenwelt abgeschotteten Wohndomizilen fördern. Holubs kurzer Schnitt mit Schwarzblenden und schemenhaften Silhouetten evoziert Körperposen ähnlich den Protagonisten von Rap-Videos, bei denen die Gestik ein wesentliches Ausdrucksmerkmal darstellt und zur Unterstreichung verbaler Äußerungen dient. Während im Video der Warentausch und der damit verbundene finanzielle Output die Basis der Kommunikation bilden, jedoch nicht notwendigerweise auf ökonomischen Gewinn ausgerichtet sind, zeigt sich das umgekehrte Verhältnis in einem gerüstabdeckenden Panel, auf dem eine Sortieranlage für Kleidungsstücke zu sehen ist.

Den Transfer ökonomischer Modelle von der Ersten in die so genannte Zweite und Dritte Welt impliziert das skizzenhaft montierte Panel, das in der Tradition fotografischer Bildinszenierungen nach Susan Sontag ein „Memento mori“, das heißt Abbild vergangener, nicht mehr existierender Strukturen darstellt. In Realität handelt es sich um eine ehemalige und vor kurzem aufgelassene Kleidersortieranlage des Hilfswerks Humana. Dieses verkauft in Containern gesammelte Kleidungsstücke nach unterschiedlichen Kategorien in seinen Shops, um Hilfsprojekte in afrikanischen Staaten durchzuführen beziehungsweise den Handel mit diesen Kleidungsstücken zu ermöglichen. Ins fotografische Abbild der Sortieranlage wurde eine Person grafisch hineinmontiert. Sie steht symbolisch für die verschwindende, das heißt nicht mehr benötigte Arbeitskraft am Wirtschaftsstandort Wien, dessen mangelnde ökonomische Rentabilität beziehungsweise steigende finanzielle Anforderungen zu einem Verlegen dieses Arbeitsplatzes und damit Transfer des Produktionsprozesses in die Slowakei und nach Warna (Bulgarien) führten. Im Bild verschmilzt die Person mit den vom Sortierband angelieferten Kleidungsstücken, wodurch das Ergebnis dieses Arbeitsprozesses offen bleibt und sich die Frage nach ökonomischen Gewinnmodellen auf Basis humaner Ausbeutung stellt.

Welche Bestimmung haben die im Bild sortierten Kleidungsstücke? Deren Unterteilung in zirka 18 Gruppen macht Holub auf der Fensterfassade sichtbar, indem Kategorien wie Africa Light Mix oder Sommer/Winter/Trend et cetera zu lesen sind, die je nach angeliefertem Gewichtsvolumen größenmäßig unterschieden werden. Welcher Teil dieser Kleidungsmodelle nun in Europa verkauft wird und wie groß der Anteil des Nutzens für Bewohner des afrikanischen Kontinents sein mag, lässt sich aus den vorhandenen Daten nur schwer ablesen. Die Tatsache, dass das Geschäft mit Second Hand-Mode ein weites Feld von Möglichkeiten des Handels bietet, dessen eigentliche Praktiken aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwinden, verstärkt ein im Ausstellungsszenario inkludierter Verfolger-Scheinwerfer, der über die künstlerisch verhandelten Bildmodelle – Fotografie, Video, Text – hinweg schweift und auf unterschiedliche Möglichkeiten der Betrachtung innerhalb eines sich als „zweckrationalisiert“ gerierenden Ökonomiesystems verweist.

Während der Ausstellung werden Humana-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter wie auch im Kunstfeld tätige Personen eingeladen, in Humana-Kleidung zu modeln und bei einem Foto-Shooting (dieses fand am 4. März 2006 statt; Anm. d. Red.) die unterschiedlichen Themenschwerpunkte der nach Kategorien sortierten Kleidungsstücke zu präsentieren. Dadurch führt Holubs Auseinandersetzung mit dem Second Hand-Transfer von Kleidung deren Bedeutung auf dem Umweg der ökonomischen Geste wieder auf die ursprüngliche Ebene der Kommunikation zurück.

Barbara Holub
„The System: prêt-à-porter“
Künstlerhauspassage Wien
22. 2.–12. 3. 2006

Artikel erschienen in REPORT.Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in Zentral- und Osteuropa, Juni 2006



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